Hochwürdiger Herr Pastor Frank!
Ehrwürdige Schwestern!
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Burger!
Sehr geehrte, liebe Damen und Herren!
Wie sah es vor 400 Jahren, im Jahre 1594, als unsere3.25Schützenbruderschaft wenn nicht gegründet, so doch erstmals
urkundlich erwähnt wurde, in Flittard aus? Wir stellen uns diese
Frage heute nicht nur, um Rückschau zu halten, sondern um von unseren Vorfahren etwas
zu lernen, ihnen gleichsam etwas abzuschauen, was wir für uns und
für unsere Zukunft brauchen können. Wir halten es also heute mit dem
alten, sterbenden Mose,
in dessen Abschiedlied an sein geliebtes
Volk Israel die Worte stehen: ''Denk an die Tage der Vergangenheit, lerne
aus den Jahren der Geschichte!'' (Dtn 32,7)
Zunächst: Flittard
und seine Nachbardörfer waren so sehr viel
kleiner, bescheidener als heute. Es zählte um die 150 Seelen - eine
leicht zu überschauende Menge schlichter, wohl vorwiegend mit Stroh
gedeckter Bauernhäuser und Fischerhütten, gruppiert um ihre schönes,
romanisches, damals aber noch kleiner dimensioniertes Dorfkirchlein.
Unsere Vorfahren lebten auch 1594 noch, hier auf dem Lande, unter
durchaus mittelalterlichen Bedingungen - in Produktion und Konsum
weitgehend auf sich selbst verwiesen. - Ohne Strom, ohne Autos und
Fahrräder, ohne moderne Heiz- und Kochgeräte, ohne
Straßenbahnanschluß3.26 und Fernsehen
- eine kleine Welt für sich.
Und doch waren diese Menschen - wenn wir den Historikern glauben
wollen - mindestens ebenso glücklich wie wir, jedenfalls
zufriedener. Sie waren es gewohnt, härter, länger, vor allem
abhängiger zu arbeiten, kürzer zu leben, größere Leiden und
Schwierigkeiten zu ertragen und sich an den ursprünglicheren,
einfachen Freuden des Lebens zu stärken. Dazu gehörte auch
vor allem der katholische Glaube in der kirchlich praktizierten Form,
ein dementsprechendes Brauchtum - damals waren auf dem Lande
Glaube und Kirche zugleich die Träger von Kultur und Geselligkeit:
sie gaben dem ganzen Leben in seinen vielerlei Bezügen und
Äußerungen Sinn und Richtung. Hier ist natürlich auch eine
Schützenbruderschaft anzusiedeln.
Im Jahre 1594 gehörte Flittard zum Territorium des Herzogtums
Berg,
als aufstrebender Macht im zersplitterten Deutschland
- es hatte sein geistliches Zentrum in der Zisterzienserabtei
Altenberg -
heute Zentrum der katholischen Jugend -, und in dem damals noch ganz
ländlich geprägten Städtchen Düsseldorf
entstand eine kleine,
aber ehrgeizige Residenzstadt, für Flittard
also die Hauptstadt -
die heute wiederum Landeshauptstadt ist.
Leverkusen gab es noch nicht.
Die damals ebenso kleinen Dörfer
wie Flittard
sind erst im 19. Jahrhundert, vor allem aber nach dem
Zweiten Weltkriege, zu jener Großstadt zusammengewachsen, die ihren
Namen von Geheimrat Carl Leverkus
hat, dem Gründer der auch für uns
so lebenswichtigen, beherrschenden Bayer-Werke. Ebenso fehlten
selbstverständlich auf der nahen anderen Rheinseite - bis ins 20.
Jahrhundert - die Fordwerke und die Esso-Chemie: überall gab es
nur Ackerland, ausgedehnte, auch zum Jagen geeignete Waldungen und die
breiten Rheinauen.
Die Freie Reichsstadt Köln, damals mit etwa 50.000 Einwohnern
innerhalb des Mauerringes von 1180, den heute die Kölner Ringe
markieren - sie lag für uns weit weg! Von den heute so weit
ins Bergische Land hineinragenden beiden, je 156 Meter hohen
Domtürmen stand nur der südlich, 60 Meter hohe Turmstumpf
- mit einem gewaltigen Baukran auf der Spitze.
Ihre beiden, gleichzeitig amtierenden Vorgänger für das Jahr 1594,
Herr Oberbürgermeister, waren Hillebrand Sudermann
als erster und Gerhard Angelmacher
als zweiter Bürgermeister. - Der Erzbischof
von Köln - 1594 war es Ernst von Bayern -
war gleichzeitig
Kurfürst und residierte in Bonn.
Der Rhein war hier bei Flittard
politische und Zoll-Grenze. Drüben war kurkölnisches Gebiet,
hier bergisches Territorium. Wer übersetzen wollte, etwa mit
einem Kahn, mußte mit Zollformalitäten rechnen! Das nächstliegende
Städtchen war Mülheim,
ebenfalls zum Herzogtum Berg gehörend.
Die meisten Mülheimer wollten von den Kölnern wenig wissen -
aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, hier hatten sich
aber auch die Anhänger der Reformation, damals kaum mehr als 50
Jahre alt, in der spezifisch reformierten Form festgesetzt und
trotzten dem katholischen gebliebenen Köln und seinem Rat.
Kurz vorher - am 1.Mai 1592 - war einer der berühmtesten
Kölner, P. Johann Adam Schall
von Bell3.27SJ, geboren worden: er wurde
später Astronom und Erster Mandarin am kaiserlichen Hof zu
Peking
und ist bis heute einer der größten Missionare der Kirche! So ist
P. Johann Adam Schall
von Bell einer der großen Zeitzeugen
christlichen Glaubens aus der Generation unserer Gründungsväter!
Warum gründete nun die Kirche, aktuell vertreten durch den Pfarrer
oder einen anderen Geistlichen, 1594 in Flittard,
wie auch anderswo,
eine Schützenbruderschaft?
Vorab empfehle ich Ihnen, die sehr informativen Ausführungen des
in sechs Unterkapitel gegliederten ersten Kapitels ''Die Zeit von
1594 bis 1891'' in Ihrer Festschrift ''400 Jahre Schützentraditon
in Flittard'' gut zu lesen. Wir sollten den Herren Thomas
Schmitz
und Stefan Hammes,
die sie vorgelegt haben, für diese ausgezeichnete
Leistung dankbar sein! Aber auch Sie, lieber Herr Oberbürgermeister,
haben in Ihrem Grußwort einige sehr interessante Ausführungen zur
Geschichte und Gegenwart der Schützenbruderschaften auf dem Boden
der heutigen Stadt Köln gemacht.
Ich kann mich daher auf die drei Grund-Intentionen der Kirche sowohl
für die Bruderschaften als für die Schützenvereine, die ja bei
Ihnen zu einer ''Schützenbruderschaft'' vereinigt sind,
konzentrieren.
Zunächst: Bruderschaften waren das Laienapostolat des Mittelalters.
Sie waren weithin ständisch, also berufs- und zunftbezogen,
orientiert, hatten, wenn sie größer waren, eigene Geistliche,
eigene Altäre, als Nebenaltäre, eigene Gottesdienste und religiöse
Pflichten.
Nicht so ausgeprägt sind die spezifisch religiösen Wurzeln bei
den Schützenvereinen, aber auch hier erkennen wir das Bestreben
der Kirche, sie immer mehr - sagen wir so - zu ''taufen'' und
sie mit christlichem Sinn zu füllen.
Sehen wir im Folgenden die Dinge immer
ganz konkret auf Flittard
bezogen:
1) Bruderschaften sollten und wollten das kirchliche Leben -
denn eine andere Form christlichen Glaubens war gar nicht denkbar
-, vor allem den regelmäßigen und aktiven Gottesdienstbesuch -
und wiederum vornehmlich im Blick auf die erwachsenen, im Leben
stehenden Männer - stärken und auch nach innen vertiefen. Wir
würden heute sagen: Jesus Christus sollte in ihren Herzen Einzug
halten und wohnen. - Zeitbedingt waren damals auch der Schutz des
katholischen Glaubens und die bewußte Distanzierung von einem
allerdings ebenfalls kämpferischen Protestantismus.
2) Sie wollten - als Schützenbruderschaften - vor allem an den
Sonn- und Feiertagen, wenn die Männer nicht wußten, was mit
sich und der Welt anzufangen, des kämpferische, aggressive
Naturell von uns Männern gleichsam binden und kultivieren.
Bedenken wir unseren Ursprung: wir sind hier in Flittard
Germanen,
genauer gesagt: Franken, Rheinfranken,
Ripuarier, Uferfranken. Und
mit den anderen germanischen Stämmen hatten und haben die Franken
als gemeinsames Erbe, daß die Männer vor allem Krieger sein
wollten, Kämpfer - ihr ganzer Stolz waren die Waffen. Krieg
oder Raubzüge mit Aussicht auf Beute waren für unsere Vorfahren
sozusagen Lebenselement. Noch 1594 waren territoriale Kriege
und Raubzüge an der Tagesordnung - wenig später von 1618 bis 1648,
wurde ganz Deutschland mit Mord, Raub und Brand überzogen, besonders
die ländliche Bevölkerung hatte unendlich viel zu leiden.
Der aggressive Zug fand seit altersher auch in der Jagd sein
Betätigungsfeld: die Männer mußten auf der Jagd für den
Lebensunterhalt sorgen - aber jenseits wirtschaftlicher
Notwendigkeit blieb die Jagd eine der großen Leidenschaften
unserer Vorfahren. Man zielte und schoß auf das Hoch- und Niederwild,
einfache Menschen auch in der Form des Wilderns. - Diese aggressive
Kampf- und Schießlust wurde in den Schützenbruderschaften
gleichsam ''aufgehoben'' - in der doppelten Bedeutung dieses
Wortes. - Etwa so, wie heute der kollektive Aggressionstrieb im
Massensport in kultivierte, humane, gleichsam unschädliche, harmlose
Bahnen gelenkt wird. Wir dürfen unsere Gefühle und vitalen,
überschüssigen Kräfte einsetzen, wenn Form und Ziel stimmen!
3) In den Bruderschaften wurde der Gedanke, daß der Mitgenosse
wirklich ein Bruder sei, gepflegt. Damals, als es noch keine
Kranken- und Sozialversicherung gab, waren wir viel mehr als
heute auf den mitbrüderlichen Kontakt, auf die Solidarität
von Familie zu Familie, von Mann zu Mann, von Frau zu Frau,
angewiesen. Flittard war insofern eine kleine Gemeinschaft,
wo jeder jeden kannte - das konnte und kann man gewiß auch
unter kritischen oder gar negativen Gesichtspunkten sehen -
aber das erklärte Ziel war doch die selbstverständlich
Nachbarschafts- und Bruderhilfe in allen leiblichen und
auch seelischen Nöten.
Inzwischen sind 400 Jahre vergangen und haben auch Flittard
grundlegend verändert. Der 30-jährige Krieg, die Aufklärung,
die französische Revolution, das 19. Jahrhundert mit seiner
industriellen und sozialen Entwicklung, die Einigung Deutschlands,
die beiden furchtbaren Weltkriege, der Wiederaufbau seit 1945,
der uns einen nie gekannten Wohlstand brachte - die dritte
und bald vierte industrielle Revolution, in Flittard vor
allem durch die mächtigen Bayer-Werke symbolisiert - die
damit verbundene enorme Vergrößerung und Ausweitung Flittards,
unsere Einbettung in Europa und die Welt durch die moderne
Elektronik und die uns beherrschenden Medien - was haben wir noch
mit den Menschen des Jahres 1594 gemein?
Ich meine: immer noch das Eine und Entscheidende, nämlich die
menschliche Natur, das menschliche Herz. Der lateinische
Dichter Horaz hat einmal die Verse geschrieben:
Náturám expélles fúrca - tamen úsque recúrret.Das gilt für uns Menschen, und selbst der erzieherische Wert des christlichen Glaubens brauchte für ein Volk wie das unsrige viele Jahrhunderte- und, wie sich allenthalben zeigt - verblaßt und zerrinnt das christliche Abendland mit seinen humanen Werten - ganze Völker fallen vom Glauben unserer Väter, von unseren Glauben ab und fallen in die Barbarei zurück.
Treibe die Natur mit der Mistgabel aus - sie kehrt dennoch zurück.
1) Haben Sie, meine lieben Freunde, hier vor Ort, im heute
anbrechenden Festjahr und darüber hinaus, nicht eine
wahrhaft großartige Aufgabe, die jeden einzelnen Bundesbruder
höchst persönlich betrifft und anspricht? - Ich meine den
katholischen Glauben, ein Leben, das dem Willen Gottes
entspricht, den sonntäglichen Kirchgang, den regelmäßigen
Empfang der Sakramente, vor allem Eucharistie und Buße -
kurzum: ein Leben nach christlichen Grundsätzen und Praktiken.
Gemeinsam geht auch das Glauben leichter - der eine steht
für den anderen, zieht den anderen mit, hilft ihm auf dem
so mühsamen Wege zu Gott. - Denn auch die Strukturen und Formen
religiösen Lebens ändern sich nur an der Oberfläche: Glaube,
sittliches Leben, die Gebote, die Kirche als Gemeinschaft der
Glaubenden, die Eucharistiefeier, das Bußsakrament, die christliche
Hoffnung und die Erwartung des ewigen Lebens - sie alle
bleiben - 1594, 1994 und bis an das Ende unserer Erdenezeit.
2) Die sinnvolle Ausfüllung und Erfüllung der Frei- und Festzeit,
des heute verlängerten Wochenendes, des Miteinander-Froh-Seins und
Sich-Messens - in der bergenden Gemeinschaft Gleichgesinnter -
wie wichtig ist das für uns! Wie gehen wir heute mit unseren
überschüssigen, vitalen Kräften, mit unseren Sehnsüchten,
mit unseren Aggressionen und Hemmungen um? Die Schützenbrüderschaft
soll auch in Flittard ein Programm entwerfen und gemeinsam
durchziehen, das gleichzeitig fordert und entspannt, das
gleichzeitig formt und auch wieder im gesunden Sinne gehen läßt,
das unsere Talente herausfordert und zugleich Freude, Spaß macht.
Wie unüberschaubar groß, aber auch entpersonalisierend,
nivellierend, ist heute das Angebot der Massenmedien, der
Freizeitindustrie, der Reisemanager! Wir können hier vor
Ort persönliche Akzente setzen, Kräfte entfalten,
Freunde sein, Freude haben und bringen.
3) Wir erben von unseren Vätern die Praxis einer Lebens- und
Hilfsgemeinschaft, die diesen Namen verdient, von Mann zu
Mann, von Familie zu Familie, von Nachbar zu Nachbar, von Mensch
zu Mensch - hin zu den Einsamen und Notleidenden, den ausländischen
Mitbürgen, Aussiedlern, Asylanten - bis hin zu den Menschen in
der Dritten Welt.
Ein noch eben überschaubarer Ort wie Flittard erleichtert Ihnen
dieses so typisch christliche Lebensziel. Konkretes kann ich
hier nicht sagen: Sie haben aber Herz, Kreativität und Phantasie
genug, um hier Ihren Mann zu stehen! -
Wie sagt nämlich der am 27. Oktober 1991 seliggesprochene Adolph
Kolping,
unser großer Kölner Landsmann: Die Tat ziert den Mann!
Oder er schreibt Ihnen ins Herz: ''Wer die Aufgabe des
Vereins ganz oder teilweise in die Hände nimmt, muß nicht bloß
seine physischen und geistigen Kräfte, nicht bloß seinen Kopf
widmen - das ist das Geringste -, sondern vor allem sein Herz ...
Wer Menschen gewinnen will, muß das Herz zum Pfande einsetzen ...
Das Herz aber, die rechte Liebe, muß sich bewähren in
der Tat.''
Ich möchte aber nicht mit dem seligen Adolph Kolping
von Köln
schließen, sondern mit einem Wort des heiligen Paulus, der das
menschliche Herz ebenso gut gekannt hat wie das Herz unseres
Meisters Jesus Christus. Paulus tröstet uns gleichsam auf
unserem Wege, der uns heute an einem 400-jährigen Markstein
vorbeiführt in die Zukunft. Ich setze seine Worte aus dem
dritten Kapitel des Philipperbriefes in den Plural und
lege sie Ihnen in den Mund:
''Nicht daß wir es schon erreicht hätten oder daß wir schon
vollendet wären. Aber wir streben danach, es zu ergreifen,
weil auch wir von Christus Jesus ergriffen worden sind.
(Bundesbrüder und -schwestern), wir bilden uns nicht ein, daß
wir es schon ergriffen hätten. Eines aber tun wir: wir vergessen,
was hinter uns liegt, und strecken uns nach dem aus, was vor uns
ist. Das Ziel vor Augen, jagen wir nach dem Siegespreis: der
himmlischen Berufung, die Gott uns in Christus Jesus schenkt.''
Mit dem heiligen Paulus, mit dem heiligen Sebastian, mit dem heiligen Hubert, mit dem seligen Adolph Kolping und mit Pater Johann Adam Schall von Bell wünsche ich Ihnen, daß Jesus in Ihren Herzen und in Ihren Familien wohne und dort ''seine vollendete Gestalt'' (Eph 4,13) annehme!