Bei aufmerksamer Betrachtung der chronologischen
Namensliste der Flittarder Schützenkönige erkennt man,
daß es Zeiten gab, in denen das Vogelschießen - und damit das
Schützenfest - für einige Jahre unterblieb. Zur Erklärung
dieser Lücken muß auf die politischen und sozialen
Verhältnisse in unserer Heimat während der zurückliegenden 400
Jahre, kurz, auf die teilweise unvorstellbaren Lebensbedingungen
unserer Vorfahren eingegangen werden. Dazu bietet sich ein Blick
in ''Das Heimatbuch des Landkreises Mülheim
''
an, welches der Mülheimer Heimatforscher Johann
Bendel
erstmals 1911 im Selbstverlag
veröffentlicht hat (s. [
3]).
- 1595
- Ein Jahr nachdem der Bruderschaft der silberne
Vogel gestiftet wurde, erlebten die Dörfer
Flittard
und Stammheim die schlimmste
Hochwasserkatastrophe ihrer Geschichte. In ''Die Pfarre
Flittard'' von
Roggendorf ist nachzulesen, daß das Wasser in
jenem Jahr 10,54 m hoch stand (s. [6]). Die
Pegelhöhe der Flittarder Dorfstraßen liegt zwischen 7m und 9m
am Kölner Pegel. So manches Haus war völlig in den Fluten
verschwunden.
- 1609
- -1679 Der Erbfolgestreit
Johann Wilhelm I. aus dem
Hause Kleve, der der Überlieferung nach, unseren
Königsvogels stiftete, starb 1609, ohne Kinder zu hinterlassen.
Nun entstand um sein großes Erbe ein langjähriger Streit
zwischen dem zur reformierten Religion übergetretenen Kurfürsten
von Brandenburg und dem
katholischen Pfalzgrafen von Neuburg.
Holländer, zur Unterstützung des Kurfürsten herbeigerufen,
und kaiserliche Truppen (der Kaiser stand auf der Seite des
Pfalzgrafen) überfluteten nun das Land, welches schwer zu
leiden begann.
- 1614
- Erst mit dem 1614 geschlossenen Vertrag zu Xanten
kehrte Ruhe
ein. Wenn man weiß, wie im Zuge der Einquartierungen in früheren
Zeiten die Bevölkerung von den Soldaten drangsaliert wurde,
kann man davon ausgehen, daß die Flittarder von 1609 - 1614
wohl kein Schützenfest feierten.
- 1666
- Allerdings dürften die Menschen
auch in den Folgejahren nie ganz zur Ruhe gekommen sein,
denn erst 1666 wurde zu Cleve der
endgültige Teilungsvertrag
geschlossen, wonach unsere Heimat an das Haus
Pfalz ging. Die
Erleichterung in der Bevölkerung muß groß gewesen sein. Ist
es ein Zufall, daß gerade aus dem Jahre 1666 unsere erste
Königsplakette vorliegt?
Allerdings wütete seit dem Sommer 1665 die Pest im Rheinland.
Rund 10.000 Menschen sollen allein in Köln der Epidemie zum
Opfer gefallen sein. Erst im Spätsommer 1666 ebbte die Pest
allmählich ab. Vielleicht blieben Flittard und Stammheim
aufgrund ihrer relativ abgeschiedenen Lage von der Pest verschont.
Wie ist es sonst zu erklären, daß man hier trotz der katastrophalen
Situation in der Umgebung Schützenfest feierte?
- 1618
- -48 Während des Erbfolgestreites wütete in
Deutschland der Dreißigjährige Krieg, der für unsere Heimat von furchtbaren Leiden begleitet war.
Durchzüge und Einquartierungen diverser Armeen wechselten sich ab.
Die Spanier, die Verbündeten des Kaisers, waren von 1622 - 1625 die
ersten, die unseren Kreis heimsuchten. Die Bewohner wurden mißhandelt
und ausgeplündert, so daß sie zeitweise in die Berge und Wälder
flüchten mußten. Von 1625 an hausten die Hessen,
seit 1632 die Schweden in unserer Gegend.
Nach ihnen waren wieder die kaiserlichen
Truppen die Bedrücker unserer Heimat. Kirchen und Güter wurden
geplündert, die Leute wie das Vieh gehetzt und verfolgt. In Flittard
waren 3 Männer in der Scheune mit Dreschen beschäftigt. Sie wurden
ohne alle Veranlassung ergriffen und am nächsten Baum aufgehängt.
Die schlimmsten Kriegsjahre für unsere Gegend waren 1642 und 1643, wo
der Kriegsschauplatz sich hier am Rhein befand. In diesen Jahren taten
sich vor allem die französischen Kriegsknechte als Volksbedrücker
hervor. Doch nicht nur die Soldaten, auch Räuberbanden trieben in jenen
Zeiten ihr Unwesen. An Schützenfest war für die Bewohner unseres Ortes
dabei gar nicht zu denken. Sie hatten Mühe, das nackte Leben zu retten.
Die nächste Lücke in der Namensliste unserer Schützenkönige tut sich
auf von 1669 - 1675.
- 1672
- In dieser Zeit führte Ludwig XIV.
von Frankreich seine berüchtigten
Raubkriege durch. Am schlimmsten war es im Jahre 1672. In
den Akten des Amtes
Porz, zu dem auch der Landkreis Mülheim
(bis einschl. Stammheim) zählte,
kommen Aufzeichnungen vor, die den Greueln des
Dreißigjährigen
Krieges nicht nachstehen. Die Franzosen fielen von Deutz und
Kaiserswerth aus
in unser Land ein und durchplünderten es nach allen Richtungen. Viele
wertvolle Urkunden, die den Dreißigjährigen
Krieg überdauert hatten, gingen
dabei verloren. Wieder flüchteten die Dorfbewohner vor den
Mißhandlungen in die Wälder.
- 1679
- Sehr schlimm wurde es dann noch einmal im Jahre 1679.
Die Plünderung war so allgemein und ging so ins kleinste, daß
die Einwohner gar nichts behielten. Vor allem die Frauen und
Mädchen hatten viel zu erleiden. Verständlich, daß in diesem Jahr
offensichtlich auch kein Vogelschießen stattfand.
- 1688
- In ''Die Chronik Kölns'' (s. [7]) ist folgende
Begebenheit nachzulesen:
,,Vor Köln wird ein Wal gesichtet, der sich in den
Rhein verirrt
hat - 'ein wunderliches Wasser-Thier', wie ein Beobachter
notiert. Unter den Augen Tausender Schaulustiger schwimmt
der Wal rheinaufwärts. In den Septembertagen passiert er
'mit großem Gebrüll und Brausen, so stark und geschwind, wie
ein Pferd laufen kann' Köln und die kurfürstliche Residenz
Bonn. In den folgenden Wochen nimmt er seinen Weg stromaufwärts
bis zum Oberrhein.
Überall, wo das Tier auftaucht, wie in
Straßburg und Basel, erregt sein
Erscheinen großes Aufsehen.
Im Frühjahr 1689 kehrt das Tier, das fast sieben Meter lang
sein soll, zum Mittel-
und Niederrhein zurück.
Hier ereilt ihn indessen sein Schicksal: Am 8. April wird der Wal auf
einer Rheininsel zwischen Stammheim und Niehl,
eine gute Wegstunde unterhalb von Köln, tot angeschwemmt.
Sein Kadaver weist drei Einschüsse auf, einen im Kopf, zwei in der
rechten Seite. Von den Tätern fehlt jede Spur.``
Es werden doch wohl
nicht unsere Vorfahren gewesen sein, die dieses friedliche
Tier als Zielscheibe für ihre Donnerbüchsen mißbraucht haben....?
- 1756
- -1763 Nach einigen Jahrzehnten relativer Ruhe, sicherlich hier und da
unterbrochen von Mißernten und nachfolgenden Hungersnöten, brach
der Siebenjährige Krieg zwischen Maria Theresia
und Friedrich II. von Preußen aus. Wieder wurde unser Land von fremden Truppen
heimgesucht. Einquartierungen, Kriegssteuern, Lebensmittel-
und Futterlieferungen, Plünderungen und Mißhandlungen der
Bewohner, vor allem der Frauen, waren an der Tagesordnung.
Schützenfeste wurden während dieser schlimmen Zeit nicht
abgehalten.
In diesen beiden Jahren wurde unsere Gegend von einer
pestartigen Ruhr heimgesucht. Alleine in Flittard
starben 104 Menschen.
- 1795
- -1801 Im Jahre 1789 brach die Französische
Revolution aus. 1795 gingen die Franzosen über den
Rhein, zogen von Düsseldorf
nach Süden, überschritten die Wupper und standen
nun in unserem Kreise. Ihr Marsch ging nach
Mülheim. Die Kaiserlichen stellten sich ihnen bei
Flittard entgegen und warfen sie dreimal zurück.
Letztlich siegten die Franzosen aber doch, drangen in
Flittard ein und plünderten das Dorf aus.
Obwohl die Bewohner sich völlig ruhig verhielten und alles
geschehen ließen, wurden sie gequält und mißhandelt, zwei
in einer Scheune dreschende Männer niedergemacht. Die aufs
äußerste Erbitterten überfielen dann eines Abends zwischen
Flittard und Wiesdorf die Feinde,
erschlugen 8 - nach anderer Überlieferung 12 - und warfen die
Leichen in den Rhein.
Die Franzosen plünderten damals das ganze Inventar der
Pfarrkirche und der Stammheimer
Kapelle
und das Flittarder Archiv.
- 1796
- Im September 1796 bezog das französische Heer bei Mülheim
ein offenes Lager und hielt dasselbe drei Monate lang.
Der rechte Flügel reichte bis Dünnwald, der linke bis
Thurn (heute Dellbrück).
Das Heer lebte nur vom Raub, den es aus Feldern, Scheunen, Ställen und Häusern
zusammenschleppte. Die Tatsache, daß die Franzosen, als die
nähere Umgebung ausgeraubt war, ihre Raubzüge sogar bis zur
Sülz und Agger hin ausdehnten, zeigt,
daß mit Sicherheit auch Flittard nicht verschont
geblieben ist. Überlieferungen zufolge gelang es den Bewohnern
jedoch zumindest teilweise, ihr Hab und Gut in Gruben vor den
Plünderern zu verbergen.
So muß es wohl auch mit dem Silbervogel und den
Königsschildern gegangen sein.
- 1797
- Nachdem die Franzosen unsere Gegend im Dezember 1795 verlassen
hatten, kehrten sie im Frühjahr 1797 wieder zurück und lagerten
diesmal zwischen Buchheim und Dünnwald.
Und wieder mußten
die Bewohner der umliegenden Dörfer Kontributionen leisten.
Da jedoch nicht mehr viel für die Franzosen zu holen war,
wurde ein Großteil der bis dahin in unserer Region erhaltenen
Wälder niedergeschlagen und das Holz zu Geld gemacht.
Welches Elend in den Folgejahren die Bevölkerung befiel,
kann am besten Johann Bendel selbst
schildern [3]:
,,Die Jahre 1798, 1799, 1800 waren die traurigsten und
trostlosesten, die der Kreis je gesehen hat. Die von
den Franzosen niedergetretene Bevölkerung rang mit
dem Mangel. Die Gegenwart weiß und begreift nicht, wie
unsere Vorfahren unter den Kriegsläuften gelebt und
gelitten haben. Eine einmalige Plünderung ist schlimm,
aber wenn sie zweimal, dreimal und noch öfter sich
wiederholt, so ist das nicht zweimal, dreimal, sondern
tausendmal schlimmer. Die letzte Kraft wird aufgerieben.
Das Volk verliert den Mut, Not und Verzweiflung machen
den ehemals fleißigen Bewohner zum Bettler und Räuber.
Einen Beweis von der eingetretenen Verarmung bietet eine
Bittschrift des Amtes Porz (also unseres Kreises)
an unsern Landesfürsten: 'Wir sind mehr als zwanzigmal
ausgeplündert, mehrmals für lange Zeit in die Wildnis und
Waldung und in solch erbärmlichen Zustand versetzt worden,
daß wir ohne Unterschied mit aller Anstrengung
nicht mehr imstande sind, unsere zahlreichen Familien
zu ernähren. Ob jemand vordem noch so wohlhabend war,
so müssen wir doch jetzt alle betteln und zu unserem
Unterhalte die Milde anderer Untertanen, die weniger hart
angenommen sind, ansprechen. Den meisten fehlt es sogar
an hinreichender Kleidung, ihre Blöße zu bedecken. Unsere
Güter sind so mit Schulden beschwert, daß wir keine Anleihen
mehr darauf machen können. Unsere Hausgeraiden
sind längst geraubt und verkauft, und Früchte und Vieh
ist keins vorhanden, vielweniger noch Pferde und
Karrige.``
- 1801
- Daß die Flittarder der Mut und die Lebenslust jedoch nicht
völlig verlassen hat, zeigt die Tatsache, daß kaum nachdem
im Jahre 1801 der Frieden von Luneville
geschlossen war, auch schon wieder Schützenfest
gefeiert wurde. Anton Paffrath errang beim
Vogelschießen die Würde des Königs.
- 1810
- -1817 Auch während der Befreiungskriege von der französischen
Fremdherrschaft fielen die Schützenfeste in Flittard aus.
- 1817
- u. 1819 In diesen beiden Jahren herrschte in unserer Gegend eine
große Hungersnot (s. [3] S.221).
- 1870
- /71 Während des Deutsch-Französischen Krieges fand auch kein
Schützenfest statt.
- 1914
- -1920 Während der Zeit des 1.Weltkrieges und der ersten Jahre
danach war ebenfalls kein Schützenfest möglich.
- 1940
- -1948 Die Ereignisse des 2.Weltkrieges sind vielen Flittarder
Bürgern noch in Erinnerung. Außerdem vermitteln Bücher,
Funk und Fernsehen einen Eindruck von den schrecklichen
Geschehnissen. Viele Schützenbrüder mußten in beiden
Weltkriegen ihr Leben lassen, und Schützenfeste konnten
verständlicherweise nicht stattfinden.
Rückblickend betrachtet ist es in der Tat kaum zu glauben, unter
welchen Bedingungen unsere Vorfahren eine solche Tradition - und
damit sind sowohl ideelle als auch materielle Werte gemeint - durch
die Wirren der Zeit retteten.
Manche hier nicht näher erläuterten Lücken in der Namensliste der
Könige lassen sich sicherlich mit der großen wirtschaftlichen Not
erklären, die damals von Zeit zu Zeit durch Mißernten, Hungerkatastrophen
oder Seuchen verursacht wurde. In früheren Zeiten sahen viele
Schützenbruderschaften aufgrund der herrschenden Not oftmals keinen anderen
Ausweg, als einen Teil ihres alten Silberschatzes zu verkaufen. Nach unseren
Erkenntnissen gelang es der Flittarder Schützenbruderschaft immer, eine
solche Maßnahme irgendwie zu vermeiden oder rechtzeitig rückgängig zu
machen (siehe 1785 und 1818). Aus diesem Grund gibt es kaum
eine Schützenbruderschaft, die einen älteren Vogel hat, wie es auch
nur wenige gibt, die über mehr Silberschilde verfügen. So erhielt
beispielsweise die erheblich ältere St. Sebastianus-Schützenbruderschaft
Köln-Mülheim
ihren Vogel erst im Jahre 1711 vom Kurfürsten Jan Wellem,
als Erinnerung an dessen Königsschuß, geschenkt. Der älteste erhaltene
Königsschild der Mülheimer, abgesehen von dem Vogel, stammt aus dem
Jahre 1753.
Beispiele für solche Notveräußerungen finden wir genug. So sah
sich die Wiesdorfer Bruderschaft im
Jahre 1711 wegen der großen Notzeit gezwungen, 47 alte
Königsschilder aus dem Zeitraum von 1614 bis 1707 an einen
Goldschmied zu verkaufen. Auch in Zülpich
verkaufte man im Jahre 1838 Teile des Königssilbers. Das Königssilber
der St. Sebastianus-Georgius Schützenbruderschaft
Kaster
wurde 1847 zugunsten der Kirchenkasse verkauft.
In Flittard mußte stets der jeweilige Schützenkönig
das Vermögen der Bruderschaft mit Kasse, Königssilber, usw. verwalten, und zwar
bis zu dem Zeitpunkt, wo er den Vogel aufsetzte, d.h., wo er sein
Fest ausrichtete. Dann mußte er alles an den neuen König übergeben.
Aus dem Jahre 1698 ist eine Bestandsaufnahme vorhanden, welche lautet:
18 Schilder und 11 Pfennige, 50 Gulden, 15 Albus, 4 Heller. Aus dem
Jahre 1752: 52 Schilder und 11 Pfennige, 6 Rthlr, 80 Albus, 52 Heller,
32 Tische, 21 Bänke, 2 Kranen, 2 Maase, 1 Hälfgen, 1 Trichter und
200 eichene Pfähle. Diese Sachen benutzte der zeitige (d.h. jeweilige)
Schützenkönig zum Tanzzelt und Betrieb.