Was das Vogelschießen und die damit in Verbindung abgehaltenen
Schützenfeste angeht, verfügen wir kaum über mündliche oder
schriftliche Überlieferungen aus den Anfängen unserer
Bruderschaft im Mittelalter. Der älteste erhaltene Königsschild
der St. Sebastianus-Schützenbruderschaft
Köln Flittard
stammt aus dem Jahre 1666. Mit einiger Sicherheit schossen die
Flittarder jedoch auch vorher schon ihren König aus.
Theo Reintges hat in seiner Dissertation (s.
[1]) einiges über die Geschichte des Vogelschießens
(oder, wie es in vielen Gegenden früher auch genannt wurde, des
''Papageienschießens'') im allgemeinen zusammengetragen, was
hier in Auszügen wiedergegeben werden soll.
Gleich von Anfang an ist in den schriftlichen Quellen, wenn sie nicht den Kollektivbegriff ''Vogel'' vorziehen, der ''Papagei'' der typische Schützenvogel. Das läßt darauf schließen, daß gegen Ende der Kreuzzüge mit der Verbreitung von Bogen und Armbrust und dem Aufkommen der ersten Schützengesellschaften auch dieser orientalische Vogel übernommen wurde. Nach Aussagen von Fachleuten stellt unser silberner Königsvogel einen Sittich dar. Sittiche gehören bekanntlich zur Familie der Papageien. Wie bereits aufgezeigt, wird Flandern als Heimatgebiet des Schützenwesens angesehen, von wo es sich strahlenförmig in die angrenzenden Gebiete ausgebreitet hat. Da gerade Flandern sehr viele Kreuzfahrer stellte, konnte auch die Bekanntschaft mit dem Papagei direkt durch sie aus dem Orient nach hier gelangen.
Fraglich ist, ob das Aufkommen des Vogel- bzw. Papageienschießens
begünstigt worden ist durch mythologische Vorstellungen aus
vorchristlicher Zeit. Die Verfechter dieser These führen eine Fülle von
Beispielen aus dem gesamten eurasischen Raum, vorwiegend aus dem
Bereich der indogermanischen Völker, an. Im großen und ganzen lassen
sich folgende vier Bedeutungsgruppen unterscheiden:
1.)
Der Vogel ist ein Ungeheuer (Greif, Drache), ein ''Unglücksvogel'',
der Böses im Sinn hat, der dem Menschen schaden und ihm sein Glück
rauben will (Raub einer Jungfrau, goldener Apfel vom Lebensbaum usw.).
Um das Unglück abzuwehren, muß er abgeschossen werden. Als roter Hahn
kann dieser Vogel auch Feuer bedeuten, das es abzuwehren gilt.
2.)
Der Vogel in der Gestalt eines Vogelmenschen (dem daher die Sprache
eigen ist) ist Inhaber eines kostbaren Gutes (Weisheit), dessen man
durch den Abschuß habhaft werden möchte. Später sei an die Stelle
der ''sprechende'' Papagei getreten. Da auch Götter sich in Vögel
verwandeln können, will man sich ihre Glückseligkeit verschaffen.
3.)
Der Vogel ist das Sinnbild der Seele eines Verstorbenen. Entweder
ist der Schütze der Tod, der durch seinen Schuß das Leben auslöscht,
oder der Teufel, der sich der Seele bemächtigen will.
4.)
Der Vogel, vor allem Hahn oder Taube, ist ein Vegetationsdämon, ein
Zeichen der Fruchtbarkeit. Entweder soll durch seine Tötung (am
urtümlichsten erhalten im Hahnenköppen) das verspritzte Blut
Fruchtbarkeit bewirken, oder aber es soll dadurch eine Verjüngung und
Wiederbelebung der Natur im Frühjahr hervorgerufen werden.
Es soll nicht bestritten werden, daß vielleicht in ältester Zeit
beim Vogelschießen mythologische Vorstellungen mitgespielt und
fortgewirkt haben. Zu der Zeit aber, als die Schützengesellschaften
entstanden, waren diese Vorstellungen längst verblaßt. Nirgendwo
läßt sich der Nachweis erbringen, daß der antike Vogelschußmythos
zu den Vogelschießwettkämpfen der späteren Schützengesellschaften
hinüberleitet oder für das Aufkommen dieser Gesellschaften von
Bedeutung gewesen ist. Durch das Papageienschießen wurde eine neue
Form des Schießwettkampfes begründet.
Bereits Homer erzählt in der Ilias von einem Schießspiel, bei dem eine Taube als Ziel diente, die an der Spitze eines Mastes befestigt war. Auch als Winrich von Kniprode im Ordensland Schießübungen und Vogelschießen einführte, wird zunächst keine Gesellschaft als Träger oder Organisator sichtbar. Solche Schießen sind aus dem Volksbrauch erwachsen und waren bei besonderen Gelegenheiten ein Teil der Festlichkeit, haben aber mit einer Schützengesellschaft nichts zu tun. Überdies war den Gesellschaften das jährliche Vogelschießen eine zwar willkommene Belustigung zur Erprobung ihrer Geschicklichkeit, wie es auch vordem war, nicht aber ihr Hauptzweck. Das waren ihre regelmäßigen Schießübungen. Das Vogelschießen scheidet darum als unmittelbarer Anlaß für das Entstehen von Schützengesellschaften aus, bestenfalls war es ein Wegbereiter.
Ehe man den Vogelschußmythos zur Erklärung heranzieht, um auf diesem
Umweg das Alter der Schützengesellschaften heraufzusetzen, sollte man
an den so einfachen und natürlichen Hergang denken, daß sich der
Vogel ganz von selbst als Ziel für den Umgang mit einer Fernwaffe
anbot. Somit wird auch die Stange, die man als erhöhten Standort für
den Vogel wählte, als Sinnbild des Lebensbaumes fragwürdig. Nicht
selten wählte man statt ihrer Windmühlenflügel (z.B. in
Köln) oder eine Kirchturmspitze (z.B. den kleinen
Glockenturm der Kirche Notre-Dame du Sablon in
Brüssel).
Fest steht, daß aus dem 14. und 15. Jahrhundert bereits eine Reihe
von Nachrichten über Schießspiele, welche von Schützenvereinigungen
abgehalten wurden, vorliegen. Die Teilnehmer setzten sich jedoch nicht
immer nur aus den örtlichen Schützen zusammen, auch der Adel nahm
gerne daran teil.
Mit zahllosen Beispielen ließe sich das belegen. Wenn der Landesherr oder in seinem Namen eine andere Standesperson ein Schützenfest oder ein Schießspiel mit dem ersten Schuß eröffnete oder nebst anderen Adligen solchen Veranstaltungen als Zuschauer beiwohnte, so kann man daraus allein noch keine aktive Teilnahme herleiten. Es konnte eine Bekundung fürstlichen Wohlwollens zum Ansporn der Bevölkerung sein. Auch wenn ihre Namen in den Königslisten enthalten sind, so brauchen sie nicht selbst den Königsschuß getan zu haben. Sie konnten sich vertreten lassen, was sicherlich manchmal geschah. Das allein aber würde schon als Zeugnis ihrer lebhaften Anteilnahme genügen. Aus den vielen Beispielen seien einige herausgegriffen: Heinrich IV. von Frankreich sah man 1595 beim Vogelschießen in Dijon, Erzherzog Ferdinand von Österreich, den Bruder Karls V., 1579 beim Schützenfest in Gent, wo er den Vogel abschoß, Erzherzog Maximilian, den späteren Kaiser, 1479 beim Schützenfest der Armbrustschützen in Brügge, wo letzterer gleichfalls den Vogel abschoß, die Regentin der Niederlande, Margarete von Österreich, 1572 in Mechelen, wo sie den Vogel abschoß, den noch nicht zwölfjährigen Erzherzog Philipp den Schönen, den Sohn Kaiser Maximilians I., 1490 in Namur, (seinen Königsschuß hielten die Zeitgenossen für ein Wunder), die Bischöfe von Utrecht bei den Schützenfesten ihrer Stadt, Herzog Johann 1515 und Herzog Wilhelm V. beim Vogelschießen in Jülich, die Äbte von Siegburg bei den dortigen Schützenfesten, wobei Abt Gerhard von Plettenberg 1511 den Vogel abschoß, usw.
Verschiedene Kurfürsten sind von 1591 bis 1766 unter den
Schützenkönigen der St. Sebastianus-Bruderschaft
Brühl zu finden.
Es gibt kaum eine alte und berühmte Schützenbruderschaft, die nicht in ihrer damaligen Blütezeit einen Vertreter des Hochadels oder gar den Landesfürsten selbst zu ihren Königen gezählt hätte und eine Erinnerungsplakette daran aufbewahrt. Aus unserer engeren Heimat wissen wir, daß im Jahre 1711 der Kurfürst Johann Wilhelm II. (Jan Wellem) in Mülheim am Königsvogelschießen teilnahm und den Vogel abschoß.