So wurden die Statuten der St. Sebastianus Schützenbruderschaft Köln
Flittard zum ersten Mal
im Jahre 1845
(hand-)schriftlich fixiert. Statuten
sind also keinesfalls ein Beweis für das Alter einer
Vereinigung. Zumeist sind sie ja in einer Zeit entstanden, wo nur
wenige des Schreibens kundig waren. Das geschriebene Wort hatte damals
nicht die Bedeutung wie heute, das gesprochene Wort galt mehr. Man
begnügte sich mit den ungeschriebenen Regeln und Gewohnheiten, oder
aber man las die Statuten bei der jährlichen Hauptversammlung
vor.
Theo Reintges (s. [1]) glaubt aufgrund systematischer Untersuchungen mit Gewißheit feststellen zu können, daß die Schützengesellschaften gegen Ende des 13. Jahrhunderts in Flandern entstanden sind und sich von dort nach Süden, Osten und Norden ausgebreitet haben. Um 1400 hat die Schützenbewegung bereits die nördlichen Niederlande und das Rheinland erreicht. Sehr schnell ist sie dann zu Beginn des 15. Jahrhunderts in die übrigen Gebiete Mitteleuropas und bis ins Baltikum gelangt.
Die ältesten uns bisher bekannt gewordenen Schützenstatuten (13.
Jahrhundert) stammen aus dem kleinen brabantischen Ort
Everberg in der Nähe von Löwen.
Es
ist nicht verwunderlich, die Wiege des Schützenwesens in
Flandern zu sehen, denn die flämischen Städte waren
durch ihr frühes Aufblühen ein Schwerpunkt der Stadtkultur
Westeuropas.
Auch die Ursachen, die zur Entstehung von Schützengesellschaften geführt haben, dürften geklärt sein. Reintges nennt als Hauptgrund den gegen Ende der Kreuzzüge durch das Aufkommen der Armbrust verstärkten Schußwaffengebrauch. Wohl nirgendwo in Europa sind damals, zu Ende des 13. und zu Anfang des 14. Jahrhunderts, so viele Kämpfe ausgetragen worden wie in Flandern. Die fortschrittlich gesinnte und streitbare flämische Bevölkerung muß gleich beim ersten Auftauchen der englischen Armbrustschützen in den Kämpfen gegen die Franzosen gemerkt haben, welche Chancen sich ihr boten. Sie erlebten eine Waffe, mit der man im Krieg etwas anfangen konnte. Als dann auch noch die Franzosen allmählich dazu übergingen, dem englischen Beispiel zu folgen, und Armbrustschützen als Hilfstruppen in den Kampf schickten, da mußten auch die Flamen in ihrem Freiheitskampf entsprechend gerüstet sein, und mußten lernen, mit der Schußwaffe umzugehen.
In Flandern bestand aber keine starke Zentralgewalt wie in England
oder Frankreich, die Söldner anwerben konnte. Hier war das Volk
größtenteils auf sich selbst gestellt, und das Bürgertum, das in
den Städten eine große Selbständigkeit erlangt hatte, begann
frühzeitig, sich in Gilden zu organisieren und im Bogen- und
Armbrustschießen zu üben. Wie das Mittelalter alle Zwecke von
sozialer Bedeutung durch Gildezusammenschluß erreichte, so auch die
Ausbildung im Umgang mit den Schußwaffen. Daraus erklärt sich
zweifelsohne das Entstehen von Schützengesellschaften gegen Ende des
13. Jahrhunderts, aber auch, daß die Flamen in der siegreichen
Schlacht von Courtrai (1302) schon tüchtige Schützen
gegen die Franzosen ins Feld schicken konnten.
Durch die zeitbedingten, militärischen Verhältnisse und
Bedürfnisse, vor allem im flämischen Grenzraum, erlebten die
Schützengilden im Verlauf des 14. Jahrhunderts einen mächtigen
Aufschwung: in Nordfrankreich durch
den Ausbruch des Hundertjährigen Krieges und der durch ihn
veranlaßten königlichen Verordnungen, in Flandern
speziell durch die stete Kampfbereitschaft des freiheitsliebenden
Bürgertums.
Was aber in diesem unruhigen Grenzland von
offenkundigem Nutzen war, das konnte auch anderswo von Nutzen sein
oder werden, so daß man das flämische Beispiel bald überall
nachahmte.
Da das mittelalterliche Denken keine Trennung zwischen rein weltlichen
und rein kirchlichen Bereichen kannte, waren die
Schützengesellschaften, wie alle anderen Vereinigungen auch, immer
kirchliche Bruderschaften. Erst in nachreformatorischer Zeit begegnen
wir Vereinen, die keine Bindungen an die Kirche mehr erkennen
lassen.
Man muß deutlich feststellen, daß in Friedenszeiten nur das
Schießwesen, wie es in den regelmäßigen Waffenübungen,
Schützenfesten und Schießspielen zum Ausdruck kommt, einer kritischen Prüfung
standhält und daher als der allgemeine, wesentliche
und eigentliche Zweck der spätmittelalterlichen
Schützenvereinigungen angesehen werden muß (s. [1] S.133).
Die religiösen Verpflichtungen waren, zumindest was die meisten damaligen
Schützenvereinigungen angeht, zweitrangig, da sie nicht auf dem Charakter
der Vereinigung als Schützengesellschaft beruhten, sondern auf ihrem
Charakter als Bruderschaft. Obwohl diese Verpflichtungen, wie der
gemeinschaftliche Besuch der hl. Messe am Patronatstage oder die Teilnahme
an der Fronleichnamsprozession, in den Statuten häufig erwähnt werden,
vermag man darin nichts zu erkennen, was typisch für die
Schützenbruderschaften gewesen wäre. Auch andere
Vereinigungen, namentlich die
Zünfte, kennen die gleichen Verpflichtungen, sofern sie
Bruderschaftscharakter besaßen. Selbst wenn dieser Bruderschaftscharakter
nicht deutlich erkennbar ist, sind solche Pflichten bei der innigen
Durchdringung aller Lebensbereiche durch die Kirche in der damaligen
Zeit eine
Selbstverständlichkeit. Erst nach der Reformation und im Gefolge der
Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges waren Anfeindungen zu
befürchten. Seitdem kommen Nachrichten über den Schutz der Prozession durch
die Schützen vor. Die Pflicht, das Allerheiligste zu begleiten, bestand
aber schon lange vorher.
Dennoch darf der kirchliche Aspekt keinesfalls vernachlässigt bzw.
unterschätzt werden. Zahlreiche bis heute erhaltene Traditionen, ja
vielfach auch ganze Bruderschaften hätten die Wirren der Jahrhunderte
gar nicht überstanden, wäre nicht die enge und tiefgläubige Bindung
an die Kirche gewesen.
Zu den Aufgaben der Schützenbruderschaften gehörte es (und gehört es
auch heute noch), ihre Mitglieder zu einem wirklich christlichen Leben
anzuhalten und sie auch zur geselligen Zusammenkunft zu vereinigen.
Die Bruderschaften forderten von den Schützenbrüdern Gebetsübungen,
Almosengaben, Dienst an den Armen, Opfer und Spenden für den Gottesdienst,
Sorge für den kranken Menschen, der - anders als heute - in der
Gemeinschaft der Familie verblieb, Sorge für das christliche
Begräbnis und überhaupt Werke christlicher Nächstenliebe.
Nachdem wir inzwischen wissen, daß das Schützenwesen ca. Mitte bis Ende
des 14. Jahrhunderts auch im Rheinland Fuß faßte, wollen wir uns den
Gründungen von Schützenbruderschaften in unserer rechtsrheinischen
Heimat zuwenden [2].
Beide Bezirke gehörten über Jahrhunderte zum Großherzogtum
Berg und
durchlebten gemeinsam eine wechselvolle Geschichte. Außerdem
unterstanden beide der Gerichtsbarkeit der Klöster
Deutz,
Dünnwald und
Altenberg.
Es handelt sich jedoch nicht in jedem Fall um Schützenvereinigungen
''von Anfang an''. So ist z.B. die Mülheimer Bruderschaft als eine
Schützenvereinigung vom angegebenen Gründungsdatum an zu erkennen, da
sie im Jahre 1435 von Herzog Adolf VII. von Berg bestätigt wurde, als
Dank für geleistete Verteidigungshilfe.
Als Gegenbeispiel kann die Gründungsurkunde der Bruderschaft in
Reusrath
gelten, bei der es sich um eine reine Gebetsbruderschaft handelte.
Im Mittelalter bildeten sich zahlreiche Pestbruderschaften, die sich der
Pestkranken annahmen, die Leichen bestatteten und durch die Errichtung
von Pestkapellen und -altären sowie durch die Verehrung des hl. Sebastianus
und anderer Pestheiliger zur Abwehr beitragen wollten. Eine solche
Pestbruderschaft war z.B. auch die
St. Sebastianus-Bruderschaft in Zülpich.
Die Statuten dieser Bruderschaft von 1444 enthalten nur religiöse und caritative Bestimmungen, insbesondere für den Sterbefall. In der Annahme ihres Entstehens anläßlich einer Pest wird man dadurch bestärkt, daß die Bruderschaft bis in die jüngste Zeit ihr Schützenfest durch drei Ave Maria zur Verehrung des hl. Rochus (Pestheiliger) im Rochuskapellchen eröffnete. Nach dem Fortfall ihrer Hauptaufgabe wurden solche Bruderschaften später vielfach zu Schützenbruderschaften.